Frieda, Wiedergefunden nach 50 Jahren
Frieda, Wiedergefunden nach 50 Jahren
Wenn sich besonderes Engagement mit glücklichem Zufall vereint, dann wird scheinbar Unmögliches möglich – bereits für tot Erklärte werfen sich in die Armen der Lieben. Der Engel erschien Frau Frieda Wagner in der Person des heutigen Präsidenten des Schwarzen Kreuzes, Herrn ÖkRat Peter Rieser, Bürgermeister a.D., LAbg.a.D.
„Schiejock täglich“ – Sendung vom 13. Juni 1994
Interviewpartner:
Frieda Wagner
Peter Rieser, „Schwarzes Kreuz“
DAS INTERVIEW
Schiejok:
Herzlich willkommen! Wenn man die Geschichte der Frau Frieda Wagner liest, so als Mensch um die 50 herum, dann erinnert man sich nur mehr an das, was man selber von seinen Eltern und Großeltern gehört hat über das Jahr 1945. Dass da Menschen in Österreich spurlos verschwunden sind - auf einmal weg waren, aus den nichtigsten Gründen, wie sich nachher herausgestellt hat. Und aus einem völlig nichtigen Grund ist damals ein 17-jähriges Mädchen verschwunden. Es war Frieda Wagner, eine Frau die heute hier bei uns zu Gast ist und die nach fast 50 Jahren erst wieder gefunden werden konnte und in diesen 50 Jahren Fürchterliches erlebt hat. Das kann man gar nicht in Worte kleiden, das kann man gar nicht fassen, wenn man den Lebenslauf dieser Frau verfolgt und liest, was sie alles erlebt hat. Sie hat vor kurzer Zeit sich mühsam wieder an die deutsche Sprache erinnert und ich möchte Sie fragen, Frau Wagner: Wie Sie damals im Jahr 1945 von den Russen aufgegriffen worden sind, was haben Sie da angestellt, was hat man Ihnen da vorgeworfen?
Wagner:
Von der Großmutter bin ich weg, weil der Onkel hat mich rausgeschmissen. Ich hab‘ müssen wandern, da hin, da her. Dann hat eine Freundin gesagt, fahren wir nach Oberösterreich arbeiten. Ich hab‘ gesagt, ich fahr‘ auch mit. Na, dann sind wir mitgefahren mit ihr – die brauchen Arbeiter und wir sind hingefahren dort. Dann hab‘ ich getroffen den Bruder, Ignaz. Wir haben uns nicht vertragen, wir haben angefangen zu raufen, zu schimpfen, und wir müssen zurückfahren. Dann bin ich zurückgefahren wieder nach Neuberg und dann bin ich nach Wr. Neustadt. Dort war die russische Zone und da haben sie mich aufgehalten und haben gefragt: Papiere? Ich hab‘ gesagt, ich hab‘ keine Papiere. Und dann haben sie gesagt, du musst mit uns mit. Ich hab‘ gesagt, ich will nicht mit, ich will nach Hause nach Neuberg. Na, ich hab‘ angefangen zu schimpfen „du russisches Schwein“, alles was ich gekannt hab‘ hab‘ ich geschimpft mit den Russen. Da haben sie mich mitgenommen in den „Stab“, da war ich zwei Tage. Da haben sie mir was zu essen gegeben, ich hab‘ das Teller genommen und hab’s denen ins Gesicht geschmissen. Na, sie haben gesagt: „Jetzt fährst du nach Russland!“ – da haben sie mich in den Zug hinein, da haben sie mich fortgeführt, nach Wolwov (phon.), Ukraine. Dort war ich drei Monate im Gefängnis. Von dort haben sie mich geführt nach Schilawnsk (phon.) ins Arbeitslager. Dort war ich 1 ½ Jahre, in diesem Lager. Da hab‘ ich müssen arbeiten – schwer, Hunger, …. Essen gegeben, so wie Schweindln haben’s uns gefüttert. Dann haben wir in den Wald müssen, Erde haben wir graben müssen, in die Kolchose haben sie uns gejaukt, und auf d‘Nacht haben sie uns auch rausgejaukt, um 12 in der Nacht – mit dem Zuber, den Sand haben wir ausschaufeln müssen. Da war es sehr kalt, da war es 50 Grad, 40 Grad war es. Wir haben arbeiten müssen. Wennst nicht gehst, wirst noch einmal eingesperrt, für immer. Dort hab‘ ich acht Frauen getroffen, die waren von Deutschland – die Frauen, die haben es nicht ausgehalten, die sind alle gestorben. Doch, eine Frau ist übriggeblieben, die war von Kirchbach. Von dort haben sie mich weggeführt, das war Asbest (Ort, phon.), da habe ich in der Steingrube (Steinbruch?) arbeiten müssen, alle schweren Arbeiten habe ich machen müssen. Dort haben sie gesagt: „Du bist schon frei, hast schon 2 Jahre abgesessen.“ Sie haben mir Papiere gegeben und ich habe fahren müssen nach … ich hab‘ vergessen, wie das heißt.
Schiejok:
Weiß es der Herr Rieser vielleicht zufällig?
Rieser:
Das ist eine Stadt in der Nähe von Moskau, dort wo sich die Heimkehrer alle getroffen haben, wenn sie nach Hause zurück transportiert wurden.
Schiejok:
Also Tscheljabinsk (phon.)
Rieser:
Tscheljabinsk (phon.), das ist hinter dem Ural. Sie war hinter dem Ural.
Schiejok:
… hinter den Ural transferiert worden, in das Arbeitslager. Dann wieder herausgekommen und dann eben …
Rieser:
Und dann hat sie eigentlich die Fahrkarte bekommen, dass sie mit dem Zug in die Nähe von Moskau fahren kann, wo sie eigentlich zum Heimkehrertransport dazustoßen hätte sollen.
Schiejok:
Das war in welchem Jahr?
Rieser:
1952.
Wagner:
1952, ja.
Schiejok:
Also von 1945 bis 1952 hat sie diese Torturen durchgemacht – dann hätte sie heimfahren sollen, und da ist etwas passiert.
Wagner:
Na, da bin ich zum Bahnhof gekommen und bin so gesessen – ich habe lang auf den Zug warten müssen, von 12 bis 6 haben wir sitzen müssen. Und ich sitz‘ so, da kommt eine Frau mit einem kleinen Kind. Wir haben miteinander geredet „wo fährst du hin“ – „ich fahre ‚dort‘ hin“ … ich hab’s vergessen (Blick zu Rieser)
Rieser:
Ja, diese Stadt in der Nähe von Moskau.
Wagner:
Ja … „ich muss nach Moskau dorthin fahren“. Ich hab’ gesagt: „Bitte sitzen Sie mit dem Kind.“ „Ich habe Hunger“, hat sie gesagt. Ich habe gesagt: „Ich habe nichts, ich habe auch Hunger. Ich weiß nicht, wie ich das weiter aushalten werde.“ Das Kind habe ich genommen – ich bin gesessen – und diese Frau ist nicht gekommen, zu der Zeit als der Zug kommen sollte. Der Zug ist gekommen und ich kann das Kind nicht verlassen, was soll ich mit dem Kind, mir tut es leid. Ich bin auch so aufgewachsen geworden, bei der Großmutter, auch so. Mir hat es so leid getan. Dann ist sie gekommen, so spät. Es ist schon 8 Uhr gewesen, ist sie gekommen, hat sie etwas zu essen gebracht. Ich habe ihr gesagt: „Was soll ich jetzt machen? Wohin soll ich jetzt? Ich habe kein Geld, ich habe gar nichts, nichts zum Anziehen, gar nichts. „Was soll ich machen?“, habe ich gesagt.
Schiejok:
Also, der Zug war weg und Sie sind mit dem Kind dagestanden.
Wagner:
Ja. Na, sie ist gekommen und hat etwas zu essen gebracht, wir haben gegessen, dann sind wir mit dem Kind auf den Bahnhof gegangen, dort sind wir geblieben bis in der Früh. Sie hat gesagt: „Gehst zu mir mit.“ Sie war von Swetlowski (phon.), nicht weit von Ekaterinenburg. Dann kommt ein Mann, der hat Arbeit gesucht. Er braucht … (?) … diese wo das Mehl mühlen, muss aufbauen (Anm: er will eine Mühle bauen und braucht Geld???) Habe ich gesagt: „Dedinka (phon.), du nimmst mich mit – ich habe keine Papiere, so und so.“ „Ja, sind viele Leute so wie du“, hat er gesagt. Na, der hat uns mitgenommen, in dieses Bilajarka (phon.) sind wir gefahren. Sie haben uns in ein Haus gesteckt, haben uns ein Bett gegeben … und arbeiten. Diesen Leuten, die mitgefahren sind, haben sie auf der Polizei Papiere gegeben. Dann hat er gesagt, diese andere, die Frau die mit mir mitgefahren ist, die muss weg – 25 Stunden haben sie ihr gegeben, sie muss weg. Ich bin zum Direktor gegangen und habe gesagt: „Ich will auch weg.“ Er hat gesagt: „Du hast gesessen.“ „Ja.“ „Willst noch einmal sitzen?“ „Nein“, habe ich gesagt, „ich will nicht mehr.“ Er hat gesagt: „Geh‘ jetzt arbeiten bis am Abend. Dann kommst du zu mir.“ Na, ich habe gearbeitet bis 5, dann bin ich zum ihm gegangen. Dann hat er gesagt: „Du kommst zu mir, wirst bei mir leben. Bis du das Gold verdienst wirst. Wirst meiner Frau putzen helfen, wirst bei uns sein.“ Ich habe gewohnt, ich habe geholfen, bis ich das Geld gekriegt habe. Dort war ich ein Jahr, dann haben sie den Direktor rausgeschmissen. Dann habe ich nicht gewusst, was ich machen soll. Dann haben sie mich zur Polizei hinausgerufen. Du musst Papiere, den Ausweis kriegen, haben sie gesagt. Wir müssen nach Moskaus schreiben. Sie haben geschrieben. Er hat gesagt: „Du darfst nicht weg, bis dass die Papiere nicht kommen.“ Ich bin weg und habe mir auf der Kolchose eine Arbeit gesucht. Die haben gesagt: „Du kommst zu uns, wir geben dir Arbeit.“ Ich habe nicht gehört auf das und bin weg. Schon drei Monate war ich schon dort, da hat meine Nachbarin gesagt: „Dich sucht die Polizei!“ Ich habe gesagt: „Ich habe nichts angestellt. Was habe ich gemacht? Ich habe nichts gestohlen, nichts habe ich getan.“ Dort habe ich mir ein bisserl etwas verdient, dass ich halt ein bisserl was anziehen habe können. Dann haben sie gesagt: „Du darfst da nicht wohnen, das ist eine Stadt Regime (?) – du hast keinen Ausweis, du hast keine Staatsbürgerschaft, keine russische und keine österreichische hast du.
Schiejok:
Und da sind Sie dann wieder in das Lager zurückgekommen.
Wagner:
Nein. Dann hat er gesagt: „Du musst nach Domejn (phon.) fahren.“ – Dort sind viele Ausgesiedelte gewesen. Die Deutschen waren viel dort, die Wolgadeutschen waren früher. – „Und dort musst du leben.“ Da bin ich in Wileschan (phon.) zur Polizei gegangen mit diesem Papier, das mir die vom Wileschanka-Rayon geschickt haben. Der hat gesagt, du gehst in … da ist ein Haus, wo du übernachten kannst. Und dort war ein Herr, der hat gesagt: „Kannst du mit den Ochsen fahren?“ Ich habe gesagt: „Ja, ich kann das.“ „Ich nehm‘ dich“, hat er gesagt. Dann habe ich dort gearbeitet, ich habe nichts verdient, ich habe Holz führen müssen 15 km mit diesen Ochsen. Es war sehr kalt, 15 Grad, 30 Grad, viel Schnee war …
Schiejok:
Frau Wagner, Sie könnten ja Ihre Geschichte jetzt wirklich stundenlang in Details erzählen. Es ist ganz fürchterlich, was Sie erlebt haben. Dort ist es so weitergegangen, dass Sie schlussendlich geblieben sind.
Wagner:
Ja.
Schiejok:
Und Sie haben dann geheiratet dort – obwohl Sie schon heimfahren hätten können. Haben zwei Kinder gekriegt …
Wagner:
Nein, da habe ich noch nicht heimfahren können.
Schiejok:
Ich meine, zuerst hätten Sie schon fast nach Hause fahren können, wie Sie am Bahnhof geblieben sind. Aber Sie haben dann geheiratet dort.
Wagner:
Ja.
Schiejok:
Haben zwei Kinder geboren.
Wagner:
Die sind geboren und gleich gestorben bei der Geburt, gleich.
Schiejok:
Gleich bei der Geburt gestorben … und das mit dem nach Österreich fahren war wieder weg?
Wagner:
Ja.
Schiejok:
Ihr Mann ist dann gestorben.
Wagner:
Der war krank, ist dann gestorben.
Schiejok:
Ich möchte jetzt ein bisserl diesen langen Lebensweg, den Sie da verbracht haben in Russland, abkürzen. Es ist ja ein ganzer Roman, den die Frau Wagner hier erzählen könnte. Schlussendlich ist sie dann nach dem Tod ihres Mannes dort gelandet, wo es ihr ganz besonders schlecht gegangen ist. Wo sie geschlagen wurde, misshandelt wurde, nimmermehr aus und ein gewusst hat, und der Mann, der sie gefunden hat, ist eben der Herr Peter Rieser. Über das Schwarze Kreuz, wo Sie auch tätig sind, haben Sie dann Kontakt aufgenommen eines Tages mit den russischen Behörden nach der Ostöffnung und haben da einen Appell im russischen Radio an österreichische oder deutsche sozusagen Verschleppte verlautbart.
Rieser:
Ja, ich war Mitglied einer österreichischen Delegation vom Schwarzen Kreuz bei einer internationalen Konferenz in Tambov liegt 450 km südöstlich von Moskau – und ich habe die Gelegenheit wahrgenommen, bei dieser Gelegenheit ein Interview zu geben und einen Aufruf zu geben, dass wir Österreicher suchen, die im Zweiten wie auch im Ersten Weltkrieg vermisst sind. Es sind nach dem Zweiten Weltkrieg 133.000 Österreicher vermisst und im Ersten Weltkrieg über 100.000. Und diese Sendung, dieses Interview im Fernsehen, wie auch im Radio, hat dann Frau Wagner – 2.500 km weit entfernt – bzw. ihre Freundin gehört. Sie hat dann einen Brief geschrieben an die österreichische Botschaft nach Moskau und unsere Diplomaten – und das muss man wirklich lobend erwähnen – haben sich spontan für die Frau Wagner eingesetzt und es ist uns dann gelungen, zu Hause mit den Geschwistern Kontakt aufzunehmen.
Schiejok:
Das Ganze ist wirklich ein Wunder, also ich kann mir das nicht vorstellen. Frau Wagner ist nämlich 1951 in Österreich bereits für tot erklärt worden.
Rieser:
Ja.
Schiejok:
… und dann wurde sie durch Zufall, durch dieses Radiointerview, gefunden. Jetzt gibt es aber viele Menschen, die offenbar noch in Russland verstreut leben und Sie kriegen auch jede Woche, habe ich gehört, eine Menge Briefe und Anfragen beim Schwarzen Kreuz. Kann man da anderen Menschen vielleicht auch noch irgendwo Hoffnung machen oder …?
Rieser:
Ja, wir bekommen sehr viel Post, nicht nur aus Österreich, auch aus Deutschland, aus Frankreich, bis hinüber nach Kanada, wo Familienangehörige, wo Frauen, wo Kinder, wo Geschwister den Bruder, den Mann, den Vater suchen. Und es gibt aufgrund der Unterlagen und aufgrund der Aufzeichnungen – und hier möchte ich besonders das Ludwig-Boltzmann-Institut in Graz mit Prof. Dr. Karner (Anm. erwähnen?). Wie aber auch bitte in den Archiven … wir finden immer wieder Leute, und es ist bemerkenswert, dass es sogar in Sibirien eine russisch-deutsche Zeitung gibt – es leben dort 7.600 mit deutscher/österreichischer Abstammung. Und wie ich vor kurzem in Novosibirsk gewesen bin, und ich war bei einer österreichischen Familie eingeladen. Und dieser Österreicher konnte es nicht glauben und nicht fassen, dass es möglich ist, in dieses unwegsame Gelände hineinzukommen. Er hat mich angefasst und gesagt: „Bist du wirklich ein Mensch?“ Ich sagte: „Ich bin ein Mensch.“ „Nein. Und ich glaube“, weil ich ihn gefragt habe, warum, „Sie kommen aus dem Jenseits.“ Und es gibt viele, viele noch Lebende drüben und wir werden gemeinsam versuchen, mit den österreichischen Behörden, aber auch mit den russischen Behörden, hier einen Weg zu finden. Aber wir wollen niemand zwangsbeglücken.
Schiejok:
Herzlichen Dank! Herzlichen Dank, Herr Rieser.
Frau Wagner starb am 28. August 2012
—————
Neuigkeiten
Fahrt mit der Steyrtalbahn am 30. Juni 2024
—————
—————
Schlagwörter
Die Schlagwörterliste ist leer.
Angehörigensuche
Resultat des Erfolges bei der Suche von Felix`Familie - Eine Reportage der Kronen Zeitung
—————
Erfolg bei der Suche von Felix`Familie
—————
Auf der Suche nach Besatzungs/Befreiungskindern - Berichte der Kronen Zeitung
—————
Sohn des Vaters Ivan Bogdanov, 1923 geboren, Artillerietechniker - zuletzt Baden stationiert - wird gesucht
—————
Enkelin sucht Wiener Familie, die ihrem Großvater das Leben gerettet hat
—————
Katharina sucht ihren Großvater Pepi
—————
Großvater Johann oder Joan gesucht – offensichtlich serbischer Herkunft
—————
Achtung - Raum Wr. Neustadt - Um 1946 - Schauplatz Schloss Katzelsdorf – Greta, eine Kindesmutter, sowie deren Angehörige werden gesucht.
—————
Vater – möglicherweise aus Marokko – eines Besatzungskindes gesucht.
—————
Angehörige von Augustin Schuha, 30 September 1911 in Hollabrunn geboren - gefallen am 22. Juli 1943 bei Prudok - gesucht
—————